Der Traum ihres Lebens – Sie kämpfte um ihr Geschäft und fand ihre große Liebe
Maria Ganz
Durch eine kleine Erbschaft kann sich Juliane einen großen Traum erfüllen: Sie kündigt bei ihrem Arbeitgeber und richtet sich mithilfe ihrer Freundin Andrea einen kleinen Laden in Freiburg ein. In der dazugehörenden Küche fertigt sie Pralinen, Schokoladenträume, eingelegte Früchte und viele süße Köstlichkeiten mehr.
Nach der anfänglichen Begeisterung wird Juliane jedoch schnell auf den Boden der Realität zurückgeholt, denn bald türmen sich verschiedene Probleme wie mangelnder Kundenzuspruch, Ängste und Geldnot vor ihr auf. Auch von ihrem Freund Bodo, der ihr keinen beruflichen Erfolg zutraut, erfährt sie keinerlei Unterstützung. In ihrem Übereifer erleidet sie eines Nachts einen Zusammenbruch, sodass Andrea einschreiten muss. Sie hilft Juliane mit neuen Ideen und sucht zusätzliches Personal. Doch Juliane bekommt ihre Probleme nur scheinbar in den Griff und ahnt nicht, dass es natürlich nicht alles war, das sich ihr in den Weg stellt.
Denn dann eröffnet unweit von Julianes Laden der gutaussehende David Erlenwein eine neue Filiale seiner Kaffeehaus-Kette …
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Teil 1 – 12.10.2020
»Andrea, ich bin ein Glückskind!«, rief Juliane Baumann aufgeregt und presste den Telefonhörer dicht ans Ohr. »Du glaubst nicht, was ich heute erfahren habe. Mir ist ganz schwindlig.«
»Meine Güte, was ist denn mit dir los? Du bist ja völlig aus dem Häuschen. Hast du etwa im Lotto gewonnen?«
»Nein, nicht im Lotto, aber ein Gewinn ist es trotzdem. Stell dir vor, ich habe geerbt. Meine Tante Luise, die Schwester meines Vaters, hat mir zwanzigtausend Euro vermacht.«
»Dann bist du wirklich ein Glückskind«, freute sich Andrea mit ihrer Freundin. »Und was machst du jetzt mit deinem überraschenden Geldsegen?«
»Kannst du dir das denn nicht denken?«
»Nein, wieso? Du hast schon so viele Wünsche geäußert, dass ich nun wirklich nicht ahnen kann, was du tun wirst.«
»Ich werde kündigen und mich selbständig machen.«
»Ah, jetzt weiß ich es, dein Schokoladengeschäft, was?«
»Ja, ganz genau, mein Schokoladengeschäft. Hilfst du mir bei der Inneneinrichtung, wenn es so weit ist?«
»Klar doch, du kannst auf mich zählen.«
Gleich am nächsten Tag kündigte Juliane ihren Arbeitsplatz, nahm ihren Resturlaub und wurde sofort freigestellt. Mit Begeisterung machte sie sich an ihre Aufgaben, erarbeitete ein Konzept und erstellte Kostenpläne. Anschließend ging sie zur Bank und beantragte einen Kredit, der ihr auch bewilligt wurde. Nun konnte es losgehen, denn die Auflagen und Gesetze würde sie mit ihrem Kapital gut einhalten können, wie sie zufrieden feststellte.
Mitten in Freiburg fand sie auch ganz schnell ein günstiges Ladengeschäft. Es war nicht die exklusive Einkaufsstraße. Nein, es war eine davon abzweigende kleine Seitenstraße, aber dafür war die Miete in angenehmer und vertretbarer Höhe. Der Verkaufsraum war recht geräumig und hatte ein großzügiges Schaufenster. Gleich dahinter befanden sich mehrere Zimmer, die sie dringend benötigte. Es war genau die richtige Aufteilung, um gut arbeiten zu können. Zufrieden und glücklich nahm sie die Schlüssel in Empfang und traf sich noch am selben Tag mit Andrea, die gleich Maßstab und Notizblock auspackte.
Bereits wenige Tage später unterbreitete ihr Andrea die Vorschläge für die Ladeneinrichtung, und Juliane musste zugeben, dass nach diesen Plänen alles sehr geschmackvoll werden würde.
Die Wände strichen sie in einem zarten Blau. Statt der typischen Regale besorgten sie große rote Gartensteine mit runden Löchern, die in genau festgelegten Abständen aufeinandergesetzt wurden. Darüber legten sie eigens dafür zugeschnittene Glasplatten. Den Verkaufstresen bauten sie auf dieselbe Weise und stellten die Kühltheke, die Juliane bestellt hatte, daneben. Zum Schluss verteilten sie Strahler im gesamten Laden, die Julianes Produkte vorteilhaft beleuchten und gleichzeitig für eine warme Gemütlichkeit sorgen sollten.
»Juliane, ich bin begeistert!«, rief Andrea, als sie fertig waren. »Schau dich doch mal um und freue dich über dein Geschäft! Es ist ein richtiges Schmuckkästchen mit einem ganz besonderen Flair geworden. Du wirst sehen, wenn jetzt noch die Ware eingeräumt ist, dann ist alles perfekt, und die Leute rennen dir gleich am ersten Tag die Bude ein.«
Juliane konnte nur nicken. Voller Stolz blickte sie sich um. Sie war sehr angetan, als sie sah, was sie beide zuwege gebracht hatten. »Ja, ich bin richtig zufrieden und glücklich. Morgen kommen die Weine, die wir in die Rundungen der Steine schieben. Meine Küche ist auch schon fertig und abgenommen. Noch heute Nacht werde ich damit beginnen, die ersten Pralinen herzustellen, Schokoladenformen zu füllen und, und, und …«, zählte sie auf und klatschte voller Vorfreude begeistert in die Hände. Sie war nicht mehr zu stoppen.
Zwei Monate später saß Juliane gerade am Frühstückstisch, als das Telefon läutete. Sie verdrehte die Augen, erhob sich und griff unwillig zum Telefon. Nicht einmal am frühen Morgen ließ man sie in Ruhe.
»Ja, bitte?«, brummte sie ungehalten in den Hörer.
»Hier ist Ines. Mir geht es gar nicht gut. Ich habe Kreislaufbeschwerden und kann heute nicht zur Arbeit kommen«, erklärte Julianes Verkäuferin und fügte noch wenige bedauernde Worte hinzu. Für Juliane klangen sie nicht sehr überzeugend, sie glaubte Ines nicht und reagierte äußerst gereizt und unfreundlich.
»Schicken Sie mir umgehend ein ärztliches Attest«, schnaubte sie Ines kurz an und legte ohne Gruß den Hörer auf. Sie musste sich eine neue Kraft suchen, eine, auf die sie sich verlassen konnte, befand sie nüchtern. Schnell blickte sie zur Uhr und stellte mit Entsetzen fest, dass sie sich nun schleunigst auf den Weg machen musste, wenn sie den Laden pünktlich öffnen wollte. Wieder einmal hatte Ines sie im Stich gelassen, wie beim letzten Mal auch ganz knapp vor Beginn der Arbeitszeit. Sie hatte nun keine Gelegenheit mehr, für Ersatz zu sorgen, und würde an diesem Tag ein Mammutprogramm ganz alleine durchziehen müssen. Daher war es jetzt vorbei mit dem schönen Kaffee, den sie eigentlich noch hatte genießen wollen. Sie stellte ihre Tasse in den Ausguss und schaltete die Kaffeemaschine und das Radio aus. Am Garderobenhaken im Flur griff sie nach ihrer Jacke, schnappte sich ihre Handtasche, die auf dem kleinen Eichentisch stand, und verließ ihre Wohnung. Der Fahrstuhl brachte sie in die Tiefgarage, wo sie ihr Auto geparkt hatte.
Natürlich war gerade jetzt der Berufsverkehr besonders heftig, wie hätte es auch anders sein können. Und so stand Juliane ungeduldig in dem zähfließenden Verkehr, der immer wieder an den Ampeln zum Stillstand kam, und überlegte krampfhaft, wie sie heutigen Tag einteilen sollte. Sie hatte das Gefühl, einen Berg erklimmen zu müssen, von dem sie wusste, dass es unmöglich war. Die Gedanken jagten ihr durch den Kopf und lösten schon jetzt eine leichte Panik in ihr aus, noch bevor sie in ihrem Laden eingetroffen war. Sie hatte einfach keine Lust mehr, diese täglichen Kämpfe um die Existenz auszufechten. Niemals hätte sie geglaubt, dass das alles so schwer sein könnte und es so mühselig würde, genügend Stammkunden zu finden. Aber was war die Alternative? Sollte sie aufgeben und sich wieder eine Arbeit suchen? Schön war die Vorstellung nicht, sie würde täglich ein Büro ansteuern, die Stunden abarbeiten und pünktlich nach Hause gehen. Das kannte sie schon, und es hatte ihr noch nie gefallen. Der einzige Vorteil war der, dass sie sich keine Sorgen um Umsatz, Personal, Kosten, Steuern und was nicht sonst noch alles machen müsste. Juliane holte tief Luft, denn die Sorgen schnürten ihr den Brustkorb zu.
Gerade in diesem Moment riss sie das Klingeln des Handys aus ihren Gedanken.
Teil 2
Nachdem sie sich umständlich den Kopfhörer ins Ohr gestöpselt hatte, drückte sie mit lustlos die Taste, um den störenden Anruf entgegenzunehmen.
»Guten Morgen, mein Schatz. Ich hoffe, du hast gut geschlafen«, begrüßte sie ihr Freund Bodo gutgelaunt. »Ich wollte dich nur an heute Abend erinnern, an die Einladung bei meinen Freunden. Du denkst doch hoffentlich daran?«
»Bodo«, stieß Juliane aus und seufzte. »Deine Sorgen möchte ich haben! Ich bin in Eile, weil meine Verkäuferin ausgefallen ist. Außerdem habe ich noch Aufträge und Termine zu erledigen. Meine anderen Probleme will ich gar nicht erst aufzählen. Mich interessiert im Moment wirklich nicht die Bohne, was am Abend sein wird. Hör zu, es ist nicht sicher, ob ich dich zur Party begleiten kann. Das musst du verstehen.«
»Das meinst du jetzt aber nicht im Ernst? Du hast es mir versprochen, dass unser Privatleben nicht unter deiner Arbeit leiden wird!«, rief Bodo in aggressivem Ton durch den Hörer.
Juliane war kurz davor zu explodieren. Was für ein Egoist Bodo doch war! Er scherte sich keinen Pfifferling um ihre Sorgen. Das Leben bestand für ihn nicht vordergründig aus Arbeit, sondern in erster Linie aus einer ausgeprägten Freizeitgestaltung. Der gute Bodo achtete lediglich darauf, dass sein Geld über den Monat ausreichte. Sie kannte natürlich seine Einstellung, wusste, dass er in seinem Innersten ihren Beruf nicht würdigte. Er glaubte in keiner Weise an ihren Erfolg und begegnete ihrer Arbeit mit völligem Desinteresse.
»Ich habe dir immer gesagt, du sollst die Finger von der Selbständigkeit lassen«, fuhr er nun fort. »Was du machst, kann nicht gut gehen, zumal du viel zu wenig Kapital hast. Ich sage dir voraus, es wird nicht mehr lange dauern, und dann musst du Konkurs anmelden. Du hättest auf mich hören sollen. Ich hatte dir geraten, eine bessere Bürotätigkeit anzunehmen, als du in deinem alten Betrieb nicht mehr zufrieden warst. Das ist und bleibt meine Meinung, und du wirst sehen, dass ich Recht habe.«
»Scher dich zum Teufel«, antwortete Juliane nur und legte einfach auf. Nun lenkte sie ihre Aufmerksamkeit wieder auf den Verkehr, der immer noch mehr stockte, als er sich vorwärts bewegte. Also musste sie weiterhin viel Geduld haben.
Mit Bodo war Juliane seit zwei Jahren zusammen. Am Anfang ihrer Beziehung hatte sie seine Leichtigkeit ansteckend gefunden, und es hatte ihr gut getan, dass er allen Problemen eine positive Seite abgewinnen konnte. Jedes Mal, wenn sie deprimiert von der Arbeit nach Hause gekommen war, hatte er gelacht und sie zu einem Abendessen eingeladen, um ihre negativen Gedanken zu vertreiben. Aber sie waren beide so unterschiedlich, dass sie inzwischen große Zweifel an einer gemeinsamen Zukunft hegte. Sie, die ernste Frau, die Ambitionen hatte, die mit ehrgeizigen Plänen beruflich weiterkommen wollte, und Bodo, der lediglich sein Auskommen suchte. Selbst privat ging es nicht zusammen, denn er legte prinzipiell keinen Wert auf eine schöne und großzügige Wohnung. Es genügte ihm, zweckmäßig und billig am Stadtrand zu leben. Als Berufstätige waren sie doch nur abends und zum Schlafen zu Hause, begründete er seine Einstellung. Juliane aber wünschte sich ein schönes, großzügiges Heim, elegant eingerichtet, in bevorzugter Wohnlage. Es war schwierig mit ihnen beiden, immer mehr Differenzen in ihren Lebensplanungen traten offensichtlich zu Tage und störten ihr Zusammenleben. Naja, sie musste sehen, was die Zukunft bringen würde, tröstete sie sich und verdrängte die Probleme, die im Moment für sie nur zweitrangig waren. Nach einem erneuten Blick auf den Straßenverkehr wurde ihre Geduld weiter auf eine harte Probe gestellt.
Eine halbe Stunde später konnte Juliane endlich ihr Auto vor dem Laden einparken. Vor dem Eingang standen schon Eva und Silke, die beiden Mitarbeiterinnen, die Juliane stundenweise in der Küche beschäftigte. Sie wünschte ihnen einen guten Morgen und schloss die Tür auf. Während sie sich ihrer Jacke entledigte, rief sie den beiden zu, dass sie gleich nachkommen werde, um die Tagesarbeit zu besprechen. Zunächst räumte sie das Wechselgeld in die Kasse, prüfte das Datum und legte Papier und Tüten zurecht. In zehn Minuten musste sie pünktlich aufschließen und da sollte alles vorbereitet sein. Die Kunden konnten das erwarten.
Danach betrat sie die Küche und griff nach dem Auftragsbuch, um zu sehen, was heute alles gemacht werden musste. Eva schickte sie in den Laden, um den Verkauf zu übernehmen. Silke würde erst einmal alleine in der Küche klarkommen müssen, was wahrscheinlich schwierig werden würde bei der Menge an Arbeit, die getan werden musste.
Juliane ging in ihr Büro und ließ sich auf den Stuhl fallen. Sie stützte den Kopf in die Hände und überlegte, wie sie an diesem Tag alles erledigen konnte, das ihr dringlich erschien.
Nur wenige Wochen waren seit der Eröffnung ihres Ladens vergangen, und sie musste feststellen, dass die Selbständigkeit doch nicht so einfach war, wie sie gedacht hatte. Anders als Andrea es prophezeit hatte, wurde ihr natürlich nicht die Bude eingerannt, im Gegenteil, es waren leider viel zu wenig Kunden, die ihren Laden besuchten. Und so fragte sie sich oft, ob ihre Pralinen zu teuer waren. Ihre Preise konnten natürlich nicht mit den Kaufhäusern mithalten, schließlich fertigte sie alles in Handarbeit. Hinzu kam, dass die guten Rohstoffe nicht annähernd so günstig waren, wie man vermuten konnte, und auch ihr Personal kostete viel. Schließlich mussten die schönen Süßigkeiten mehr als nur nett verpackt werden, und diese besonderen Kartonagen verschluckten auch jede Menge Geld. Im Moment war ihre finanzielle Lage also außerordentlich prekär, und am Vorabend hatte sie nach langem Grübeln den Entschluss gefasst, nun auch das Internet zu nutzen, um möglichst viel über den Versandhandel verkaufen zu können. Da aber ihre Verkäuferin ausgefallen war, würde sie sich heute nicht darum kümmern können.
Spontan entschied sie sich, Andrea anzurufen, vielleicht wusste sie jemanden, der ihr ein paar Stunden aushelfen konnte. Schnell riss sie sich aus ihren düsteren Gedanken, griff zum Hörer und wählte die Nummer von Andreas Büro.
»Hallo, Andrea. Hast du einen Moment Zeit für mich?«
»Juliane! Selbstverständlich. Mein Chef ist nicht da, also können wir ein paar Minuten plaudern. Du hörst dich nicht gerade sehr heiter an. Hast du Kummer?«, kam Andrea ohne Umschweife auf den Punkt.
»Ach, Andrea, ich mache mir große Sorgen. Es kommen einfach nicht genügend Kunden, die Kosten laufen mir wie wild davon, und ich fürchte, ich muss bald mit der Bank reden.«
»Ach herrje, so schlimm?«, fragte Andrea erschrocken.
Juliane beantwortete die Frage nicht, stattdessen sprach sie weiter: »Gerade heute wollte ich mir die Zeit nehmen, um neue Produkte auszuprobieren. Einen Internetauftritt für Versandkunden wollte ich planen und neue Werbemaßnahmen ausdenken, und nun bleibt keine Zeit für die Kreativität, da meine Verkäuferin schon wieder krank ist. Als Krönung habe ich Bodo heute Morgen den Hörer aufgeknallt, weil er wieder nur an sich und die Einladung bei seinen Freunden dachte«, erzählte sie stöhnend und musste sich krampfhaft bemühen, die aufkommenden Tränen zu unterdrücken, die jetzt schon mit Macht ihre Augen benetzten.
Fortsetzung am 30.10.2020